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Sonntag, 14. Dezember 2008
Plädoyer für eine Alphabetisierung des Blicks
barbara huber, 21:01h
Unsere Diskussion vom Donnerstag über den inflationären Gebrauch von Bildern findet beinahe täglich neuen Zündstoff - zuletzt die Berichte über ein sogenanntes "Nazipuzzle" im Standard. Hier unser Kommentar dazu. Wir freuen uns über rege Auseinandersetzungen!
Plädoyer für eine Alphabetisierung des Blicks
(anlässlich der Berichte zum „Nazi-Puzzle“ im Standard vom 12. und 13.Dezember 2008)
Wenn es „passieren“ kann, dass man in einem als „Designhotel“ angepriesenen Hotel unter dem dramatisch inszenierten Bildnis Hitlers schlafen soll, wenn italienische Supermärkte Weinflaschen etikettiert mit dem Abbild von Adolf Hitler und Mussolini anbieten und der Ausspruch „es war mir ein innerer Reichsparteitag“ als Beschreibung für einen persönlichen Gefühlsausbruch zur geflügelten Floskel werden kann, dann gibt das so genannte „Nazi-Puzzle“ nur einen weiteren Anlass zu einer differenzierteren Auseinandersetzung:
Auch wenn uns nur die im Standard vom 12. und 13. 12. 08 abgedruckten Bildausschnitte bekannt sind, scheint uns die Skandalisierung der Darstellung mittels begrifflicher Reduktion auf nur eine inhaltliche Dimension den Blick auf eine notwendige umfassendere Analyse zu verstellen.
Was der Zeichner Pedersen in seiner comicartigen Collage zeigt, hat nichts zu tun mit einer historischen Realität sondern zeigt viel mehr die zum Alltag gewordene Metaebene medial vermittelter, zum Bild geronnener Geschichtlichkeit. Was hier offensichtlich wird, ist die Tatsache, wie unreflektierte Bilder den Zugang zur Wirklichkeit ver-stellen anstatt sie uns vorstellbar zu machen.
Schlüsselszene für diese Lesweise scheint uns der kleine Maler an seiner Staffelei (ganz links im Zeitungsausschnitt vom 12.12.) zu sein, der den Blick auf seine Modelle – angedeutete ‚normale’ Frauen – gerichtet hält, während sich im Prozess des Malens das „Idealbild perfekter Weiblichkeit“ in Form der Botticelli – Venus auf seiner Leinwand generiert. Sein Blick auf die Wirklichkeit ist demnach längst von etablierten Vorbildern – also Normbildern – verstellt.
Vilem Flusser thematisiert die hier – bewusst oder unbewusst - angedeutete Umkehrung der Bildfunktion folgendermaßen: „Die allgegenwärtigen technischen Bilder um uns herum sind daran, unsere ‚Wirklichkeit’ magisch umzukehren. Es geht hier im wesentlichen um ein ‚Vergessen’. Der Mensch vergisst, dass er es war, der die Bilder erzeugte, um sich an ihnen in der Welt zu orientieren. Er kann sie nicht mehr entziffern und lebt von nun ab in Funktion seiner eigenen Bilder.“
Die als „Skandal“ thematisierte Darstellung von „Auschwitz-Szenen“ liest sich auf dieser Analyseebene noch einmal differenzierter, zumal der Zeichner die Szene nicht nur unter den Augen der berühmten Steinkopfskulpturen Hollywoods sondern vor allem auch unter der Regie Steven Spielbergs (Hinweis „S.L“ für Schindlers Liste auf der Filmklappe des „Kameramanns“) inszeniert: „Auschwitz“ gerät hier zum kommerziell konsumierbaren Erlebnispark: eine Frau verteilt Hakenkreuz-Fähnchen an die wartenden BesucherInnen, ein monitorartiges Sichtfenster „befriedigt“ den voyeuristischen Blick auf die symbolisierten Vernichtungsprozeduren in den Gaskammern.
Daneben meißeln Häftlinge aus den von Mitgefangenen herbei geschleppten Steinblöcken eines der zentralen Symbole katholisch geprägter abendländischer Kultur – die Pieta Michelangelos (vielleicht eines der berührendsten Bilder menschlicher Begrenztheit).
Die fast vollständige Ausrottung der mittel- und nordamerikanischen Ureinwohner unter Mithilfe der katholischen Kirche (an den Wänden der Kirche Santa Maria Maggiore in Rom klebt bis heute das Blut der mittelamerikanischen Kulturvölker in Form des geraubten Goldes) findet ohnedies nur mehr beiläufige Erwähnung in der Form klischeehaft verkitschter „Winnetou-Figuren“ hollywoodscher Prägung als Teil des Themenparks.
Die visuelle Banalisierung der Grausamkeit dieser Völkermorde scheint im übrigen schon gar nicht mehr zur medialen Aufregung zu gereichen, wir haben uns längst daran gewöhnt.
Auschwitz als Ort, der für immer unfassbaren und vor allem undarstellbaren Grausamkeit, der uns mit grenzenloser Ohnmacht und Sprachlosigkeit konfrontiert, wurde durch die Wahl Spielbergs als „authentische Filmkulisse“ zur lauten und konsumierbaren Touristenattraktion: „Schindlers-Liste-Tours“ und das Angebot zu essen „wie die KZ-Häftlinge“ sprengen jede ethische Grenze.
Das Puzzle nimmt diesen Tabubruch als längst etablierte Bildwelt der inhaltsleeren Icons und damit als Spiegel unserer Gesellschaft auf.
Angesichts der Tatsache, dass in italienischen Supermärkten das Angebot von Weinflaschen mit Mussolini- und Hitler-Etiketten neben solchen mit Che Guevara und nackten Frauenkörpern zur Selbstverständlichkeit gehören und sich daran offensichtlich niemand stößt, scheint das Puzzle schon beinahe eine Metaebene – unseren inflationären Umgang mit Bildern betreffend – zu thematisieren. (Dass ultrarechte Parteien in Österreich sich im letzten Wahlkampf den zum frei flottierenden Zeichen gewordenen Che Guevara als Bild aneignen konnten, um damit die Jugendlichen anzusprechen, schlägt in eine ähnliche Kerbe.)
Die dringende gesellschaftspolitische Verantwortung, die sich aus Entwicklungen wie diesen ergibt, besteht darin, massiv in visuelle Bildung zu investieren, die sich nicht, wie der Begriff ‚Medienkompetenz’ heute oft missverstanden wird, auf die technische Beherrschung von Bildbearbeitungsprogrammen reduziert, sondern die Alphabetisierung des Blicks zum Ziel hat.
Bilder zielen in ihrer Informationsdichte stärker noch als Schrift auf das Unbewusste und prägen daher das kollektive Imaginäre, über das sich eine Gesellschaft definiert, wesentlich mit. In diesem Potenzial liegt ihre Gefährlichkeit aber auch ihre Stärke.
Visuelle Kompetenz im Sinne der Fähigkeit, Bilder differenziert lesen und reflektiert produzieren zu können, muss daher zum zentralen Anliegen einer demokratischen Gesellschaft werden!
Mag. Barbara Huber, Dr. Christian Streng
Innsbruck, am 14.12. 2008
Plädoyer für eine Alphabetisierung des Blicks
(anlässlich der Berichte zum „Nazi-Puzzle“ im Standard vom 12. und 13.Dezember 2008)
Wenn es „passieren“ kann, dass man in einem als „Designhotel“ angepriesenen Hotel unter dem dramatisch inszenierten Bildnis Hitlers schlafen soll, wenn italienische Supermärkte Weinflaschen etikettiert mit dem Abbild von Adolf Hitler und Mussolini anbieten und der Ausspruch „es war mir ein innerer Reichsparteitag“ als Beschreibung für einen persönlichen Gefühlsausbruch zur geflügelten Floskel werden kann, dann gibt das so genannte „Nazi-Puzzle“ nur einen weiteren Anlass zu einer differenzierteren Auseinandersetzung:
Auch wenn uns nur die im Standard vom 12. und 13. 12. 08 abgedruckten Bildausschnitte bekannt sind, scheint uns die Skandalisierung der Darstellung mittels begrifflicher Reduktion auf nur eine inhaltliche Dimension den Blick auf eine notwendige umfassendere Analyse zu verstellen.
Was der Zeichner Pedersen in seiner comicartigen Collage zeigt, hat nichts zu tun mit einer historischen Realität sondern zeigt viel mehr die zum Alltag gewordene Metaebene medial vermittelter, zum Bild geronnener Geschichtlichkeit. Was hier offensichtlich wird, ist die Tatsache, wie unreflektierte Bilder den Zugang zur Wirklichkeit ver-stellen anstatt sie uns vorstellbar zu machen.
Schlüsselszene für diese Lesweise scheint uns der kleine Maler an seiner Staffelei (ganz links im Zeitungsausschnitt vom 12.12.) zu sein, der den Blick auf seine Modelle – angedeutete ‚normale’ Frauen – gerichtet hält, während sich im Prozess des Malens das „Idealbild perfekter Weiblichkeit“ in Form der Botticelli – Venus auf seiner Leinwand generiert. Sein Blick auf die Wirklichkeit ist demnach längst von etablierten Vorbildern – also Normbildern – verstellt.
Vilem Flusser thematisiert die hier – bewusst oder unbewusst - angedeutete Umkehrung der Bildfunktion folgendermaßen: „Die allgegenwärtigen technischen Bilder um uns herum sind daran, unsere ‚Wirklichkeit’ magisch umzukehren. Es geht hier im wesentlichen um ein ‚Vergessen’. Der Mensch vergisst, dass er es war, der die Bilder erzeugte, um sich an ihnen in der Welt zu orientieren. Er kann sie nicht mehr entziffern und lebt von nun ab in Funktion seiner eigenen Bilder.“
Die als „Skandal“ thematisierte Darstellung von „Auschwitz-Szenen“ liest sich auf dieser Analyseebene noch einmal differenzierter, zumal der Zeichner die Szene nicht nur unter den Augen der berühmten Steinkopfskulpturen Hollywoods sondern vor allem auch unter der Regie Steven Spielbergs (Hinweis „S.L“ für Schindlers Liste auf der Filmklappe des „Kameramanns“) inszeniert: „Auschwitz“ gerät hier zum kommerziell konsumierbaren Erlebnispark: eine Frau verteilt Hakenkreuz-Fähnchen an die wartenden BesucherInnen, ein monitorartiges Sichtfenster „befriedigt“ den voyeuristischen Blick auf die symbolisierten Vernichtungsprozeduren in den Gaskammern.
Daneben meißeln Häftlinge aus den von Mitgefangenen herbei geschleppten Steinblöcken eines der zentralen Symbole katholisch geprägter abendländischer Kultur – die Pieta Michelangelos (vielleicht eines der berührendsten Bilder menschlicher Begrenztheit).
Die fast vollständige Ausrottung der mittel- und nordamerikanischen Ureinwohner unter Mithilfe der katholischen Kirche (an den Wänden der Kirche Santa Maria Maggiore in Rom klebt bis heute das Blut der mittelamerikanischen Kulturvölker in Form des geraubten Goldes) findet ohnedies nur mehr beiläufige Erwähnung in der Form klischeehaft verkitschter „Winnetou-Figuren“ hollywoodscher Prägung als Teil des Themenparks.
Die visuelle Banalisierung der Grausamkeit dieser Völkermorde scheint im übrigen schon gar nicht mehr zur medialen Aufregung zu gereichen, wir haben uns längst daran gewöhnt.
Auschwitz als Ort, der für immer unfassbaren und vor allem undarstellbaren Grausamkeit, der uns mit grenzenloser Ohnmacht und Sprachlosigkeit konfrontiert, wurde durch die Wahl Spielbergs als „authentische Filmkulisse“ zur lauten und konsumierbaren Touristenattraktion: „Schindlers-Liste-Tours“ und das Angebot zu essen „wie die KZ-Häftlinge“ sprengen jede ethische Grenze.
Das Puzzle nimmt diesen Tabubruch als längst etablierte Bildwelt der inhaltsleeren Icons und damit als Spiegel unserer Gesellschaft auf.
Angesichts der Tatsache, dass in italienischen Supermärkten das Angebot von Weinflaschen mit Mussolini- und Hitler-Etiketten neben solchen mit Che Guevara und nackten Frauenkörpern zur Selbstverständlichkeit gehören und sich daran offensichtlich niemand stößt, scheint das Puzzle schon beinahe eine Metaebene – unseren inflationären Umgang mit Bildern betreffend – zu thematisieren. (Dass ultrarechte Parteien in Österreich sich im letzten Wahlkampf den zum frei flottierenden Zeichen gewordenen Che Guevara als Bild aneignen konnten, um damit die Jugendlichen anzusprechen, schlägt in eine ähnliche Kerbe.)
Die dringende gesellschaftspolitische Verantwortung, die sich aus Entwicklungen wie diesen ergibt, besteht darin, massiv in visuelle Bildung zu investieren, die sich nicht, wie der Begriff ‚Medienkompetenz’ heute oft missverstanden wird, auf die technische Beherrschung von Bildbearbeitungsprogrammen reduziert, sondern die Alphabetisierung des Blicks zum Ziel hat.
Bilder zielen in ihrer Informationsdichte stärker noch als Schrift auf das Unbewusste und prägen daher das kollektive Imaginäre, über das sich eine Gesellschaft definiert, wesentlich mit. In diesem Potenzial liegt ihre Gefährlichkeit aber auch ihre Stärke.
Visuelle Kompetenz im Sinne der Fähigkeit, Bilder differenziert lesen und reflektiert produzieren zu können, muss daher zum zentralen Anliegen einer demokratischen Gesellschaft werden!
Mag. Barbara Huber, Dr. Christian Streng
Innsbruck, am 14.12. 2008
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